Erst einmal mit den Nutzern sprechen

Wie sich der Faktor S in die Entwicklung von Quartieren integrieren lässt, berichtet Fritz Stoessel, Geschäftsführer von Sector Seven Investors GmbH, im Gespräch mit immobilienmanager.

Welche Bedeutung messen Sie dem Faktor S bei der Entwicklung von einzelnen Gebäuden oder Stadtquartieren bei?

Fritz Stoessel: Mehr und mehr setzt sich in der Branche die Erkenntnis durch, dass monofunktionale Immobilien auf Dauer weniger erfolgreich sind, nicht zuletzt wirtschaftlich betrachtet. Das belegt auch die steigende Nutzernachfrage nach höheren sozialen Standards. Für das gelingende Zusammenspiel von sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit spielen die Elemente Integration und Kollaboration eine entscheidende Rolle.

Aber letztlich geht es doch vor allem um Wirtschaftlichkeit?

Fritz Stoessel: Wir sind davon überzeugt, dass soziale Nachhaltigkeit wirtschaftlichen Erfolg generiert. Wirtschaftlichkeit oder soziales Handeln sind nach unserem Verständnis kein Entweder – Oder. Auch für institutionelle Investoren werden soziale Aspekte immer wichtiger, sodass es mehr Nachfrage und auch Zahlungsbereitschaft für Quartiere gibt, die integrieren und nicht verdrängen. Das heißt, die Investoren weiten ihre Vorgaben auf soziale Belange aus, denn das E in ESG ist längst eine Selbstverständlichkeit.

Sie sprachen von „Integration und Kollaboration“. Was meinen Sie damit genau?

Fritz Stoessel: Das S und das G sind fundamentaler Bestandteil verantwortungsbewussten Unternehmertums, und nur so lassen sich auch nachhaltige Standorte der Zukunft schaffen. Ein wichtiger Schritt hin zu diesem Ziel ist es, stark nutzerfokussierte Konzepte zu entwickeln. Dabei hat es sich bewährt, noch vor Beginn der Planung zunächst mit den Bestandsnutzern, neuen und künftigen Nutzern zu sprechen, ihre Bedarfe abzufragen und zuzuhören.

Was umfasst diese Abfrage?

Fritz Stoessel: Es geht um weit mehr, als das Minimum zu realisieren, was beispielsweise bei einer Büroentwicklung gut funktionierende Arbeitsplätze wären. Statt Silos zu schaffen, gilt es, auf übergeordnete Aspekte zu setzen wie hohe Aufenthaltsqualität, Frei- und Grünflächen, Räume zum Zusammenkommen, Gastronomie und Nahversorgung. Und nicht zuletzt sollen die neu entwickelten Orte und Quartiere auch für diejenigen attraktiv sein, die nicht Mieter oder Bewohner sind, aber Teil des lokalen sozialen Lebens.

Umwandlung eines Kasseler Industrieareals

Können Sie ein praktisches Beispiel dafür nennen?

Fritz Stoessel: Dass und wie es funktionieren kann, zeigt unser Projekt auf dem Henschel-Areal in Kassel, wo unter dem Titel Lokq – Lokales Kreativ Quartier – ein gemischt genutztes Quartier mit über 100.000 Quadratmetern geplant ist. Dabei arbeiten wir als Berliner Investor nahezu ausschließlich mit lokalen Akteuren wie Stadtplanern, Verwaltern und Gewerken zusammen. Wir finden vor Ort die bestmögliche lokale Expertise und zugleich Menschen, die die gleiche Sprache wie wir sprechen, um eine gemeinsame Vision umzusetzen: Die Verwandlung einer Industrie-Brache in ein lebendiges Quartier, in einen synergetischen Raum für Kultur, Freizeit, Gewerbe, Forschung, Soziales und vielfältige Wohnformen.

Wir öffnen das historische Henschel-Areal für neue Nutzungen und Lebensstile und bewahren gleichzeitig seinen industriellen Charakter. Dabei wird auch seine Identität als Kreativstandort bewahrt, aktuelle Nutzer wie Skater, Künstler und Museumsbetreiber bleiben. Durch das frühe Einbinden aller Stakeholder überlassen wir das Entstehen funktionierender Netzwerke nicht dem Zufall, sondern fördern es in gemeinsamer Arbeit gezielt.

Wie gehen Sie damit um, dass der Faktor S recht schwer greifbar ist?

Fritz Stoessel: Das Erarbeiten eines Frameworks für das S ist tatsächlich eine bisher ungelöste Herausforderung. Daran arbeiten wir intern. Aber es geht auch um Vergleichbarkeit im Markt. Dafür fehlen heute noch valide, anerkannte KPIs. Sie zu entwickeln ist eine sehr reizvolle und lohnende Aufgabe, die Bestandteil der weiteren Entwicklung von ESG sein wird. Wir brauchen Parameter für den Faktor Gemeinwohl: für Integration statt Verdrängung.

Das Gespräch führte Roswitha Loibl.